15. Dez 2021
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Global Cities
Europäische Städte: Die Hidden Champions Grenoble, Wiesbaden und Coventry
In der Immobilienbranche sind Städterankings beliebt, denn sie sind ein wirkungsvolles Mittel, die Komplexität von Städten in einer einzigen Kennzahl zu bündeln. Allerdings gibt es an der herkömmlichen Rankingmethode einen Haken: Allzu oft werden dabei absolute Größen herangezogen, was zwangsläufig dazu führt, dass die Großstädte an der Spitze der Ranglisten stehen. Es ist nicht besonders aufschlussreich, festzustellen, dass eine große australische Stadt wie Sydney mehr Start-ups vorzuweisen hat als das vergleichsweise kleine Wagga Wagga. Werden die Zahlen mit Pro-Kopf-Angaben bereinigt, sind die Ranglisten zwar aussagekräftiger, können aber auch zu fragwürdigen Ergebnissen führen: Sollten die 56.442 Einwohner von Wagga Wagga auch nur eine einzige Neugründung hervorbringen, würden sie Sydney auf Pro-Kopf-Basis schlagen.
Bei absoluten Vergleichen und Pro-Kopf-Messungen wird übersehen, dass die sozioökonomischen Indikatoren von Städten in den meisten Fällen mit der Bevölkerungszahl nach superlinearen Potenzgesetzen mit Exponenten von etwa 1,15 skalieren. Das bedeutet, dass größere Städte überdurchschnittlich viel Positives erzeugen, wie Innovationen, Wohlstand und Kunst, sie leiden im Gegenzug aber auch unter überdurchschnittlich vielen negativen Auswirkungen wie Kriminalität, Gesundheitsschäden oder Umweltverschmutzung. Es gibt zwei Gründe für die superlineare Skalierung bzw. dafür, dass Städte mit zunehmender Bevölkerung einen immer größeren Vorsprung erlangen. Erstens haben sie Größenvorteile bei der Infrastruktur. Wenn sich beispielsweise die Einwohnerzahl einer Stadt verdoppelt, heißt das nicht, dass das Straßennetz ebenfalls verdoppelt werden muss; es muss nur um etwa 85% wachsen. Noch bedeutsamer ist jedoch, dass Städte von sozialen Netzwerkeffekten profitieren. Mit einer wachsenden Bevölkerung steigen auch die Beziehungen zwischen den Menschen exponentiell an. Und genau das ist es, was zu unverhältnismäßig mehr Innovationen und letztlich zu mehr Wohlstand führt, je größer eine Stadt wird. Dieser „Netzwerk-Booster“ erklärt den Erfolg von außergewöhnlichen Tech-Clustern wie Silicon Valley oder die Innovationskraft von Megastädten wie Tokio.
Eine spannende Frage, die sich daraus ergibt, lautet: Welche Städte werden ihrer Größe gerecht? Unter Anwendung des Skalierungsfaktors von 1,15 kann ermittelt werden, welche Städte tatsächlich mehrGewicht haben, als man von ihnen normalerweise erwarten würde. Solche Vergleiche lassen sich am besten unter gleichen wirtschaftlichen Bedingungen anstellen,weswegen in den meisten Studien nur US-Städte herangezogen wurden. In dieser Analyse haben wir die BIP-Werte der drei führenden europäischen Volkswirtschaften untersucht: Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Wir haben Daten vom Jahresende 2019 verwendet, um die Auswirkungen der Pandemie auszuschließen und, weil Großbritannien zu diesem Zeitpunkt noch EU-Mitglied war. Dennoch sind deutsche Städte klar im Vorteil: Das Pro-Kopf-BIP lag 2019 in Deutschland bei $56.000, in Frankreich bei $49.000, und in Großbritannien bei $48.000. So war Deutschland rund 17% wohlhabender als Großbrittannien.*
Das Ranking wird als Scale-Adjusted Metropolitan Indicator (SAMI) berechnet, der unabhängig von der Bevölkerungsanzahl die Erfolge bzw. Misserfolge einer Stadt gegenüber anderen Städten bewertet. Diese Methodik bietet im Gegensatz zu Pro-Kopf-Indikatoren eine aussagekräftigere Rangfolge der Ballungsräume. Sie ermöglicht in dieser Analyse einen direkten Vergleich zwischen zwei beliebigen Städten, indem das BIP Niveau mit der um die Skalierungseffekte bereinigten Bevölkerungszahl der (beiden) Städte verglichen wird.
Dies sind die von SAMIs ermittelten Befunde und welche Schlüsse wir aus diesem Ranking ziehen können:
- Mehr deutsche Städte entwickelten sich überdurchschnittlich: Deutschland hat mehr Einwohner als Frankreich und Großbritannien und die Bevölkerung ist weniger stark auf die Hauptstadt konzentriert. Damit befinden sich mehr deutsche Städte in der Stichprobe. Außerdem verfügt Deutschland über ein leicht höheres Wohlstandsniveau. Zusammen genommen erklären diese zwei Faktoren, warum das Ranking der erfolgreichsten Städte nach bereinigtem BIP von deutschen Städten angeführt wird und nur relativ wenige deutsche Städte auf den hinteren Plätzen zu finden sind.
- Mittelmäßige Franzosen und extreme Briten: : Auffallend ist, dass fast alle französischen Städte im Mittelfeld liegen ohne wirkliche Outperformer und mit lediglich einem echten Schlusslicht. In Großbritannien hingegen sind die Städte, unter denen es einige echte Spitzenreiter aber auch etliche Absteiger gibt, über das gesamte Spektrum verteilt.
- Ob eine Stadt über- oder unterdurchschnittlich abschneidet, hängt nicht von ihrer Größe ab: Da die Performance der Städte im Verhältnis zu ihrer Größe gemessen wird, ergeben sich faire Vergleichsbedingungen. Und diese zeigen, dass die besonderen Merkmale der einzelnen Städte - ihre DNA - die wichtigsten Erfolgstreiber sind. Einige der größten Städte (München, Düsseldorf, Paris, Lyon, Edinburgh) finden sich am oberen Ende der Rangliste des jeweiligen Landes. Die schwachen Platzierungen von einigen anderen sehr großen Städten wie Birmingham, Dortmund oder Marseille belegen die These, dass Größe nicht vor mangelnder Performance schützt.
- In Frankreich dominiert Paris, aber in Großbritannien hat nicht nur London das Sagen: Wenn man die übermäßigen Effizienzvorteile der französischen Megametropole Paris bereinigt, verliert sie dennoch nicht ihren Titel als der historisch dynamischste und wohlhabendste Ort des Landes. Das Gleiche trifft auf London allerdings nicht zu. Zwar ist Großbritannien nicht ganz so sehr von seiner Hauptstadt geprägt wie Frankreich, doch ist London immer noch mit großem Abstand die größte Stadt des Landes. Dennoch schaffen es acht britische Städte, besser als die Hauptstadt abzuschneiden. Mit Ausnahme von Edinburgh, der Hauptstadt Schottlands, und der von der Ölindustrie abhängigen Stadt Aberdeen, befinden sich jedoch alle anderen Landesrivalen im ausgedehnten Speckgürtel von London.
- Universitätsstädte genießen einen Standortvorteil: Viele führende Universitäten befinden sich außerhalb der größten europäischen Wirtschafts- und Industriemetropolen. Eine Ansammlung kluger Köpfe kann kleineren Städten einen wirtschaftlichen Vorteil verschaffen, zum Beispiel durch Start-ups, die aus der Hochschulforschung hervorgehen. Oft bieten Universitätsstädte auch ein reichhaltiges kulturelles Leben, das wohlhabende Menschen anzieht. Deshalb kommt es nicht von ungefähr, dass Edinburgh, Cambridge und Oxford die britische Tabelle anführen. Deutschland, mit seiner dezentralen Struktur, verfügt hingegen über keine vergleichbaren Elite-Universitäten. Dennoch verwundert es nicht, dass kleine Städte mit angesehenen Hochschulen wie Karlsruhe, Mainz, Münster, Bonn, Aachen und Freiburg vor den größeren Städten des Landes liegen. In Frankreich gelten Grenoble und Toulouse als Paradebeispiele, wobei dort dieser Trend aufgrund der Dominanz von Paris, dessen Universitäten regionale Hochschulen verdrängen, weniger stark ausgeprägt ist. Das dürfte den Standortvorteil erklären, den Paris in Frankreich genießt und von dem London nur in geringerem Maße profitiert.
- Flucht aus der Industriebrache: Am unteren Ende der Rangliste finden sich Städte, die ihre Glanzzeit hatten, als der Wohlstand europäischer Städte durch die (Schwer)industrie begründet wurde, und nicht wie heute durch Dienstleistungen. In Frankreich mussten sich Städte wie Saint-Etienne, Marseille, Toulon oder Lille mit ihrem industriellen Erbe auseinandersetzen. In Deutschland steht das Ruhrgebiet, das die europaweit größte Konzentration von Industrieunternehmen darstellt, an letzter Stelle. Und in Großbritannien blicken Sheffield, Leeds, Glasgow und Newcastle auf eine eindrucksvolle Geschichte im verarbeitenden Gewerbe zurück, sind aber in der von Serviceleistungen geprägten Ökonomie des 21. Jahrhunderts weniger gut aufgestellt. Gleichwohl muss das verarbeitende Gewerbe keine Last sein. Städte, die den Übergang zur Hightech-Produktion geschafft haben, können sich durchaus behaupten. Dass Städte wie Stuttgart oder die Agglomeration Braunschweig-Wolfsburg dabei besonders glänzen, überrascht nicht. Was jedoch weniger ins Bewusstsein gedrungen ist, ist die Tatsache, dass Produktionscluster wie Derby und Coventry in der britischen Städtelandschaft - einer Wirtschaft, die sich noch weiter vom verarbeitenden Gewerbe entfernt hat als Deutschland - sehr gut mit ihren Wettbewerbern mithalten können.
- Der Osten Deutschlands hinkt auch trotz zwei Billionen Euro (Investitionen) immer noch hinterher: Mehr als drei Jahrzehnte nach der deutschen Wiedervereinigung sind die fünf ehemaligen ostdeutschen Städte (einschließlich Berlin) im Vergleich zu allen ehemaligen westdeutschen Städten mit Ausnahme des Ruhrgebiets immer noch verhältnismäßig ärmer. Dabei wird das Ruhrgebiet, das mit über 5 Millionen Einwohnern rechnerisch die größte Stadt Deutschlands ist, als eine Einheit betrachtet. Diese Metropolregion besteht aber aus 15 unabhängigen Städten, von denen drei etwa eine halbe Million Einwohner zählen (Essen, Duisburg und Dortmund), was die Netzwerkeffekte im Vergleich zu einer vollständig integrierten Stadt begrenzen dürfte. Alle ostdeutschen Städte hingegen gehören zu den kleinsten Ballungsräumen. Doch auch wenn man diesen Nachteil herausrechnet, bleiben sie die wirtschaftlich schwächsten Städte Deutschlands. Angesichts der geschätzten Kosten der Wiedervereinigung für Westdeutschland von etwa 2 Billionen Euro kann dieses Ergebnis nur als herbe Enttäuschung gewertet werden. In der Rangliste liegen Halle, Erfurt, Leipzig und Dresden trotzdem vor einigen Städten, vor allem vor denen in Nordengland - eine Region, die die britische Regierung derzeit unter dem Mantra „levelling up“ (ein Ansatz, die Lebensverhältnisse anzugleichen) mit öffentlichen Mitteln zu fördern versucht. Die deutschen Erfahrungen legen nahe, dass enorme Summen erforderlich wären, um einen spürbaren Aufholeffekt zu erzielen - selbst wenn Großbritannien in der Lage wäre, wirkungsvoller in abgehängte Städte zu investieren als Deutschland.
Durch die Anwendung unseres SAMI-Konzepts auf das Ranking der Städte in den drei größten europäischen Volkswirtschaften gewinnen wir neue Erkenntnisse über Orte, die selten als Immobilieninvestitionsstandorte Erwähnung finden. Sie macht zugleich deutlich, dass es sich lohnen kann, bei der endlosen Suche nach den optimalen Städten für Immobilieninvestitionen über Gateway-Cities hinauszuschauen.
Scale-Adjusted Metropolitan Indicator (SAMI) auf der Grundlage des jeweiligen Stadt BIP für die drei größten europäischen Volkswirtschaften: Deutschland, Frankreich und Großbritannien
LAND | STADT | POSITION | SAMI |
München | 1 | ||
Wiesbaden | 2 | ||
Düsseldorf | 3 | ||
Braunschweig-Wolfsburg | 4 | ||
Cambridge | 5 | ||
Karlsruhe | 6 | ||
Mainz | 7 | ||
Aberdeen | 8 | ||
Münster | 9 | ||
Frankfurt | 10 | ||
Stuttgart | 11 | ||
Nürnberg | 12 | ||
Bonn | 13 | ||
Köln | 14 | ||
Edinburgh | 15 | ||
Mannheim-Ludwigshafen | 16 | ||
Hanover | 17 | ||
Oxford | 18 | ||
Aachen | 19 | ||
Coventry | 20 | ||
Hamburg | 21 | ||
Freiburg | 22 | ||
Paris | 23 | ||
Bristol | 24 | ||
Grenoble | 25 | ||
Lyon | 26 | ||
Augsburg | 27 | ||
Northampton | 28 | ||
Rennes | 29 | ||
Toulouse | 30 | ||
Nantes | 31 | ||
London | 32 | ||
Dijon | 33 | ||
Orleans | 34 | ||
Nizza | 35 | ||
Strasbourg | 36 | ||
Kiel | 37 | ||
Southampton | 38 | ||
Bremen | 39 | ||
Halle | 40 | ||
Erfurt | 41 | ||
Belfast | 42 | ||
Tours | 43 | ||
Caen | 44 | ||
Bordeaux | 45 | ||
Bournemouth | 46 | ||
Clermont-Ferrand | 47 | ||
Derby | 48 | ||
Brighton and Hove | 49 | ||
Nancy | 50 | ||
Montpellier | 51 | ||
Rouen | 52 | ||
Lille | 53 | ||
Leipzig | 54 | ||
Saint-Etienne | 55 | ||
Marseille | 56 | ||
Portsmouth | 57 | ||
Dresden | 58 | ||
Cardiff | 59 | ||
Leicester | 60 | ||
Kingston upon Hull | 61 | ||
Nottingham | 62 | ||
Berlin | 63 | ||
Toulon | 64 | ||
Manchester | 65 | ||
Liverpool | 66 | ||
Glasgow | 67 | ||
Leeds | 68 | ||
Ruhr (Essen-Dortmund-Duisburg) | 69 | ||
Birmingham | 70 | ||
Newcastle | 71 | ||
Sheffield | 72 |
*Die Reihenfolge der Städte innerhalb eines Landes wird aber dadurch nicht beeinflusst.