11. Jänner 2023
TOOLS
Melden Sie sich an, um Zugriff auf Ihre Unterlagen und Materialien zu erhalten.
Real Estate
Zeitenwende im europäischen Immobiliensektor
2023 könnte sich als Spitzenjahrgang für Immobilieninvestoren erweisen
Für Immobilieninvestoren dürfte das Jahr 2023 eines der attraktivsten Jahre seit den Turbulenzen im Zuge der globalen Finanzkrise und der Eurokrise könnten. An mehreren Stellen wachsen die Stressfaktoren, die den seit sieben Jahren anhaltenden Verkäufermarkt in einen Käufermarkt umkehren werden. Die Preiskorrektur ist bereits unterwegs: Seit 2021 sind die Anfangsrenditen um 50 bis 75 Basispunkte gestiegen und wir erwarten, dass sie sich im Laufe des kommenden Jahres um weitere 25 bis 75 Basispunkte erhöhen.
Die Vermietungsmärkte werden infolge der sich anbahnenden Rezession 2023 unter Druck geraten. Allerdings dürfte dieser nicht annährend die Dimensionen erreichen, wie es in den Jahren nach der globalen Finanzkrise der Fall war. Die Projektentwickler haben dieses Mal eine deutlich stärkere Angebotsdisziplin bewiesen. Mit Strategien, die auf die attraktivsten Standorte und Nutzungsarten in Europa ausgerichtet sind, können Investoren Kurs halten. Diese Investitionen werden von langfristigen technologischen und demografischen Megatrends angetrieben, die weder von der Zinswende noch von der Rezession beeinträchtigt werden sollten.
Was steckt hinter der Marktkorrektur?
Seit dem Höchststand der europäischen Investitionsmärkte im Januar 2022 sind die Inflationsraten infolge der Pandemie, der überhitzten US-Konjunktur sowie der Energiekrise kräftig gestiegen. Die Zentralbanken haben daraufhin reagiert, indem sie das seit fast einem Jahrzehnt herrschende Rekord-Zinstief im Eiltempo anhoben. Die hohe Inflation, die schmerzhaften Preissteigerungen bei fossilen Brennstoffen und weitere Zinsschritte werden somit zu Rezessionen in nahezu allen europäischen Ländern führen. Dieses veränderte makroökonomische Umfeld treibt eine weitreichende Neuordnung der europäischen Immobilienmärkte voran:
- Im Jahr 2022 kam es zu einer spürbaren Korrektur an den Kapitalmärkten, insbesondere auf dem Rentenmarkt. Dies führt zu Ungleichgewichten in den Portfolios, denn Investoren erlitten dadurch eine Überallokation in nicht-börsennotierten Anlagen, darunter auch in Immobilien. Diese Situation könnte zur Folge haben, dass sich die Nachfrage nach Immobilieninvestments abkühlt, dass es zu außerplanmäßigen Veräußerungen und in Folge zu weiteren Preiskorrekturen kommt. Aufgrund der reduzierten Nachfrage dürften sich aber aktive Investoren im Vergleich zu den Vorjahren weniger Konkurrenz um attraktive Objekte ausgesetzt sehen.
- Die Notenbanken haben vor allem in der Corona- und Eurokrise sogenannte QE-Programme (quantitative Lockerung) eingesetzt, um den Markt mit Liquidität zu fluten und die Renditekurven zu steuern. Die quantitative Lockerung hat die Preise für Vermögenswerte, nicht zuletzt für Immobilien, explodieren lassen. Inzwischen haben die Zentralbanken ihre QE-Maßnahmen zurückgefahren und damit die künstliche Unterstützung der Vermögenspreise beendet. Folglich könnte der dadurch entstandene ungerechtfertigte Preisüberschwang auf dem Immobilienmarkt einen deutliche Dämpfer erfahren.
- Investoren haben seit der globalen Finanzkrise von extrem günstigen Finanzierungskonditionen profitiert. Zwar kam es hierdurch nicht zu überhöhten Beleihungswerten (LTVs), wie in den Jahren vor 2008/2009. Dennoch können selbst moderate LTVs von unter 60% wegen den vergleichsweise sehr hohen Bewertungen (niedrigen Anfangsenditen) zu Covenant-Verstößen führen. Diese Lage könnte Veräußerungen motivieren, die häufig von den Kreditgebern angeregt werden.
- In fast allen Nutzungsarten und Ländern stehen Neufinanzierungen und Neuakquisitionen beim neuen Zinsniveau einem negativen Leverage gegenüber. Hinzu kommt, dass diese Finanzierungskosten einen erheblichen Teil der Mieteinnahmen aufzehren können. Das wiederum könnte Eigentümer zu Verkäufen drängen, obwohl sie geringere Preise als bisher akzeptieren müssen.
- Es gibt Anzeichen dafür, dass die Wirtschaft in eine Rezession abgleitet. In der Folge wird voraussichtlich die Flächennachfrage in allen Assetklassen nachlassen, und zwar vor allem in den konjunkturabhängigeren Immobilienbranchen wie Büro, Einzelhandel und Logistik. Aus Sorge vor einer Schieflage mancher unrealistisch optimistischer Businesspläne könnten Projekte mit Abschlägen auf dem Markt angeboten werden.
- Die hohen Teuerungsraten setzen die Manager von Betreiberimmobilien unter Kostendruck. Diese Mehrkosten könnten sie dazu bewegen, ihre Pipeline und ihre Expertise stärker als bisher mit starken Kapitalpartnern zu teilen.
- Die Baukosten sind schneller als die Konsumentenpreise gestiegen. Dadurch ist es schwieriger geworden Neupositionierungen, Renovierungen sowie neue Projektentwicklungen ohne die Beteiligung von erfahrenen und geduldigen Kapitalgebern umzusetzen. Es ist daher zu erwarten, dass sich Gelegenheiten zum Einstieg in Projekte zu ermäßigten Preisen ergeben.
- Zum jetzigen Zeitpunkt ist der weltweite „Reset“ der Finanzmärkte aufgrund politischer Spannungen und Risiken für die Energieversorgungssicherheit mit einer großen Unsicherheit und einer Vielzahl möglicher Szenarien verbunden. Aufgrund dieser angespannten Stimmungslage dürften die verfügbaren Risikoprämien sowohl für kurz- als auch für langfristige Investitionen steigen.
Anleger können sich auf attraktive 12 bis 15 Monaten für Neuanlagen freuen
Die seit Anfang 2022 andauernden Veränderungen im Markt kommen einer vollständigen Neuordnung des Umfelds gleich, in dem sich die Investoren seit dem Abflauen der Eurokrise bewegt hatten. Zwischen 2016 und Anfang 2021 lagen die fünfjährigen Euro-Swaps im Schnitt bei 2 Basispunkten, ehe sie bis November 2022 sprunghaft auf 300 Basispunkte anstiegen. Es bauen sich also finanzielle Spannungen auf, und Immobilienaktienindices sowie Finanzierungskosten deuten darauf hin, dass viele Immobilieninvestoren in den kommenden 12 bis 15 Monaten unter Zugzwang geraten könnten. Denn die Flut der extrem niedrigen Zinsen hat alle Boote schwimmen lassen, auch solche, die nicht seetüchtig waren. Im letzten Konjunkturabschwung kamen Zinssenkungen der Notenbanken den Immobilieninvestoren zu Hilfe. Das wird wahrscheinlich aber im Jahr 2023 nicht der Fall sein. Ganz im Gegenteil: Eigenkapitalinvestoren werden sich künftig in einer gestärkten Position befinden, um attraktive Objekte zu ihren Bedingungen auszuwählen.
Neuordnung von Anfangsrenditen
Die Wertverluste könnten sich ausgehend von historisch niedrigen Renditen als drastisch erweisen. Wir rechnen mit einem Preisrückgang von 20 bis 50 Prozent (Bewertungen sind weniger volatil), je nach lokalen Marktgegebenheiten, Fundamentaldaten des Sektors und der Objektqualität. Im oberen Bereich der Risikokurve, z. B. bei Projektentwicklungen oder Objekten mit problematischen ESG-Aspekten, wird die Korrektur deutlich gravierender ausfallen als am risikoarmen Ende des Spektrums von Spitzenobjekten mit langfristigen Mietverträgen.
Das günstige Zeitfenster könnte nur von kurzer Dauer sein
Europa steht vor demografischen Herausforderungen, die den Kontinent mittelfristig bei vergleichsweise schwachen Wirtschaftswachstumsraten und damit bei historisch vergleichsweise niedrigen Zinsen verharren lassen werden. Wir glauben daher, dass die Phase hoher Zinsen nur von kurzer Dauer sein und bereits im Jahr 2024 wieder langsam abklingen wird. Daraus folgt, dass auch die höheren Immobilienanfangsrenditen nur eine vorübergehende Erscheinung sein sollten.
Diese zuversichtliche Einschätzung stützt sich auf die Erwartung einer verhältnismäßig milden Rezession, zumal sich die europäische Wirtschaft in einer starken Ausgangslage befindet: Die Arbeitslosenquote liegt auf einem Rekordtief, es herrscht ein Investitionsboom bei der Energieversorgung und die umfassende Einführung einer Vielzahl technologischer Innovationen steht kurz bevor. Damit dürften sich die tatsächlichen Marktspannungen auf die kommenden 12 bis 15 Monate beschränken. Bärenmärkte im Immobiliensektor sind in der Regel von kurzer Dauer, fallen dafür oftmals heftig aus. Zwar ist nach einer Beruhigung des Marktes ab 2024 daher nicht mit einem erneuten Preisanstieg auf die Höchststände aus dem Jahr 2021 zu rechnen. Allerdings dürften sich die Preise nach dem „Markt-Reset“ in den Jahren 2022/23 durchaus gut erholen.
Wie bei allen Assetklassen stehen auch Immobilien schwierige Zeiten bevor. Trotzdem steuern die Märkte nicht auf einen dauerhaften Zusammenbruch zu, und nichts deutet darauf hin, dass sich Anleger lange von Immobilien abwenden werden.